Zeitgemäßer Unterricht
Der mächtige Duden schlägt als Synonyme für zeitgemäß solche Perlen vor wie „hip“, „in“, „trendy“, „brandheiß“ und „topaktuell“. Es sieht so aus, als wäre der Begriff „zeitgemäß“ selbst schon einem fortlaufenden Wandel ausgesetzt. Was macht denn dann zeitgemäßen Unterricht aus?
Und: Ist „nicht zeitgemäß“ also ein reines Totschlagargument, wenn es um die Qualität von Unterricht geht, ein Argument, das sich selbst in einem oder zwei Jahren, sobald die nächsten Fachdidaktiker mit ihren Promotionsarbeiten um die Ecke kommen, revidiert oder wenigstens relativiert wird?
Meiner Meinung nach lassen sich schon ein paar Attribute finden, die Fremdsprachenunterricht als jetztzeitig, als gegenwärtig, und eventuell sogar als aktuell charakterisieren.
Ja, das Gegenteil kann man deutlich leichter fassen; auf die Frage, was „nicht zeitgemäß“ ist, kann und wird jeder Fremdsprachenlehrer eine eigene Antwort finden. Deswegen hänge ich mich argumentativ auch an dieses Hilfskonstrukt, und beschreibe im Folgenden jeweils ein paar exemplarische Extremfälle.
(1) Gegenwartsbezug
Inhalte der Zielkultur sollten vordringlich dann behandelt werden, wenn sie irgendeine Auswirkung auf die Gegenwart haben. Die vollständige Reihe der US-Präsidenten ist nicht relevant, aber ein paar Highlights (die sicher auch vom jeweiligen Lehrer individuell beschwerpunktet werden) gehören zum kulturellen Wissen, das der Englischlerner braucht.
(2) Mediennutzung
Ohne Medien keine Kultur. So, jetzt habe ich’s gesagt. Wenn ich den Schülern einen Unterricht ohne Ton, ohne Bild, ohne Videos und ohne Realien biete, dann verdamme ich sie in letzter Konsequenz zum reinen Lesen von hochdidaktisierten Texten. Über diese wird aber kein Schüler interessiert sprechen wollen, und mit Pech nicht einmal über sie nachdenken.
(3) Weltbild
Nach Jahrzehnten der Gender-Diskussionen sollten festgefahrene Rollenvorbilder nicht mehr zum guten Ton im Unterricht gehören. Daddy geht malochen, seine Frau vergnügt sich mit dem Backen von cakes, das ist so nicht mehr realistisch, nicht mehr vorbildlich.
Weiter geht es mit der Landeskunde, mit der Geschichte, mit der Sprache… Moderner Unterricht geht mit soziokulturellen Problem und Fragestellen sensibel um, er macht die Schüler neugierig, ohne sie mit Stereotypen zu verdummen.
(4) Selbstverantwortung der Schüler
Handlungsorientierung, das Schlagwort des ausklingenden vergangenen Jahrhunderts, hat im Unterricht für aktive Kinder gesorgt, denen es wenigstens nicht allzu schnell langweilig wird. Im modernen Unterricht werden Grundsteine für lebenslanges Lernen gelegt.
(5) Sprache wird gesprochen
Ja, trivial. Wenn alles schweigt und einer spricht, dann ist vielleicht Unterricht, aber es führt nicht dazu, dass die Schüler zu kompetenten Nutzern der Fremdsprache werden. Für viel Sprachoutput braucht es Kommunikationsanlässe, Medien und ein passendes Methodenrepertoire.
(6) Sprachwissenschaften sind interessant für Sprachwissenschaftler
Egal, wie wahnsinnig interessant so etwas wie „adverbial clauses of time or reason“ für einen ausgewiesenen Fremdsprachenkompetenzler auch sein mag – der Durchschnittslerner wird eher Wissen darüber brauchen, wie er ein Zimmer im Ausland reserviert, wie er eine Hotelkritik liest und versteht – und ausreichende Fremdsprachenfähigkeiten, um seinen Lieblingsvideostreams folgen zu können. Ja, dafür braucht er auch „adverbial clauses of time or reason“. Er muss aber nicht wissen, wie das Phänomen heißt. Ähnlich geht es mir, wenn ich meinen Mikrowellenofen einschalte: Neben einer diffusen Angst habe ich keine Ahnung, wie das Gerät funktioniert und aus welchen Teilen es besteht. Ich kann es aber benutzen.