Motivation durch Abwechslung
Schüler, die Lust am und auf das Lernen haben, lernen mehr und schneller. Diese Binsenweisheit kann man aus mehreren Richtungen betrachten, um sie für den Unterricht nutzbar zu machen. Dann wollen wir mal.
1.) Biochemie
In den Augen eines Gehirnforschers sind Menschen so etwas wie sehr komplizierte, aber hochinteressante Chemiebaukästen. Botenstoffe fließen von A nach B und sorgen dann dort bei B für Verhaltensänderungen, Niesreiz oder erfolgreiches Vokabellernen. Wenn Botenstoffe glückliche Gefühle im Gehirn verbreiten, dann prägt sich das Gehirn den Weg zu diesem glücklichen Moment gut ein, um eben diesen glücklichen Augenblick noch einmal erleben zu können.
Solche Botenstoffe (Serotonin wird hierbei gern genannt, aber der Chemiebaukasten Gehirn hat sicher noch mehr zu bieten) entstehen unter Anderem beim Lachen, bei Lob, bei Erfolg und beim Essen von Schokolade.
Die logische Folge? Wir Lehrer verfüttern in regelmäßigen Abständen über den Schultag hinweg Schokoladenstückchen, oder wir sorgen dafür, dass in jeder Unterrichtsstunde gelacht wird. Letzteres ist wohl die gesündere Alternative.
Der Weg zur Botenstoffausschüttung wird gelernt – hier lauert noch eine Fälle für Schüler. Sollte der Schüler den Großteil der letzten 15 Minuten aus dem Fenster gesehen haben, um die Natur zu genießen oder an die Mannschaftsaufstellung vom Wochenende zu denken, dann lernt er auch bei noch so gut getakteter Schokoladengabe nicht den vom Lehrer gewünschten Stoff.
2.) Spiegelneuronen
Wie in der Mode, so gibt es auch in der Wissenschaft Trends; erst tragen ein paar Trendsetter ihre Hosen in knallbunten Farben, dann übernehmen weitere early adopters diese neue Mode, und schließlich berichten mainstream-Medien über das Phänomen. Wenig später will keiner mehr die Mode sehen! und es gibt knallbunte Hosen im Schlussverkauf.
Spiegelneuronen sind eine dieser wissenschaftlichen Modeerscheinungen, die es von Fachvorträgen und Diskussionen bis ins Alltagsvokabular von deutschen Wissenschaftsredakteuren geschafft haben. Vereinfacht ausgedrückt, sollen eben diese Spiegelneuronen das Kopieren von menschlichem Verhalten steuern.
„Brauchen wir Euch?“ Fragt Occam’s razor. „Kann man Euch überhaupt sehen?“ Fragt der Neurobiologe und schwingt das Skalpell.
Für’s Erste sieht es so aus, als wären die Spiegelneuronen here to stay, also können wir sie wohl auch als Erklärungsmodelle für den Erfolg oder Misserfolg unseres Unterrichts verwenden. Wenn es ganze Gehirnareale gibt, die einzig dem Nachahmen dienen, und wir diese Hirngegenden nutzen wollen, dann müssen wir den Schülern im Unterricht die Möglichkeit geben, an einem Modell zu lernen. Am Beispiel eines Menschen, der eine Fähigkeit oder Fertigkeit anwendet. An uns Lehrern.
Wir machen es vor, die Schüler machen es nach, fertig. Klingt toll: Der Lehrer löst eine, zwei Matheaufgaben an der Tafel, die Schüler sehen ihm dabei zu und -wusch- können die Schüler eben diesen Lösungsweg nachvollziehen. Der Englischlehrer spricht ein neues Wort vor, die Klasse spricht’s im Chor nach, und schon können 28 Schüler ein Wort mehr. Nein, ganz so einfach kann es nicht sein.
Trotzdem lassen sich aus den Spiegelneuronen ein paar Forderungen an den Lehrer ableiten:
– Der Lehrer ist Vorbild in seinem Verhalten. Er zeigt die Anwendung von Kompetenzen – und das sowohl praxisnah als auch deutlich. In dieser Deutlichkeit ist das didaktische Geschick des Lehrers gefragt, seine Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte schülernah, fachlich richtig und trotzdem begreifbar darzustellen. Der Lehrer lenkt den Blick der Schüler auf das Neue, das Behaltenswerte und teilt es in übersichtliche Einheiten ein.
– Der Lehrer ist nachahmenswert. Kinder lernen von Erwachsenen, die ihnen wertschätzend begegnen, und zu denen sie ein vertrauensvolles Verhältnis ausgebaut haben. Ja, zum Lehrersein gehört auch das Pflegen eines solchen Verhältnisses; Interesse für die Schüler, das Zeigen von Gemeinsamkeiten („Oh, you are a Football fan, too? That’s awesome!“) und positive Rückmeldungen erleichtern erfolgreiches Lernen.
Hier ist ein guter Grund für die in letzter Zeit nicht mehr ganz so populären offenen Unterrichtsformen zu finden: Wenn die Schüler in Gruppen arbeiten und der Lehrer phasenweise die Funktion eines Beraters und Unterstützers übernimmt, ist Gelegenheit für individuelles Lernfeedback, und somit eben auch für das Aufbauen und Erhalten einer wertschätzenden Unterrichtskultur.
– Der Lehrer stellt verschiedene Modelle zum Nachahmen vor. Nicht jeder Schüler findet jeden Lehrer toll. Der eine Lehrer hat genau so einen Bart wie der Fußballtrainer, der den Schüler schon seit Wochen nicht mehr in der Startaufstellung mitlaufen lässt. Der andere Lehrer hat dieselbe Haarfarbe wie der Nachbar, der den abgestürzten Lenkdrachen in die Mülltonne gestopft hat, und die Stimme der dritten Lehrerin klingt so wie die der Hausmeisterin, die das Spielen auf dem Parkplatz verbietet… Wir Lehrer haben’s nicht immer leicht.
Letztlich müssen wir im Unterricht durch Audio, Video und durch Bilder also neben uns noch andere Identifikationsfiguren anbieten, die den Schülern nachahmenswert erscheinen. Die Schulbuchverlage machen dies gern: Im Englischbuch begrüßt den Schüler eine ganze englische Familie samt Kindern in seinem Alter, im Mathematikbuch wartet ein freundlicher Comic-Professor und im Biologiebuch kommen auch ähnliche nachahmenswerte Experten-Avatare zum Einsatz.
3. Diminishing Returns
Das aus dem Bereich der Betriebswirtschaftslehre kommende Ertragsgesetz postuliert, dass ein stetig steigender Einsatz bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen nicht ebenso stetig steigende Erträge nach sich zieht.
Wenn ein Landwirt sein Feld erstmals düngt, so wird seine Ernte im Vergleich besser ausfallen. Mit wachsender Düngemittelzufuhr kann dieser Effekt gesteigert werden. Von Ausbringung zu Ausbringung sinken hierbei die Effekte, bis sie sich irgendwann ins Gegenteil umkehren. Der Boden ist gesättigt, und weiteres Ausbringen von Düngemittel hat für das Wachstum der Nutzpflanzen keine positiven Folgen mehr – möglicherweise wachsen durch den Dünger auf dem Feld nun mehr Unkräuter, die den Ertrag sogar mindern.
Im Englischen spricht man hierbei von diminishing returns, von sinkenden Erträgen. Und eben diese diminishing returns lassen sich auch im Unterricht beobachten:
– Auf eine neue Lehrkraft sind Schüler neugierig, sie wollen viel über ihn oder sie wissen. Wenn die Lehrkräfte zu häufig wechseln, sinkt diese Neugier – und damit wohl auch die Bereitschaft der Schüler, sich auf diesen Lehrer einzulassen.
– Bei den ersten Paar in Gruppenarbeit vollendeten Projekten sind die Schüler mit Feuereifer dabei, sie werden sogar besser und effizienter. Wenn aber der vierte Kollege diese Woche mit der Idee ins Klassenzimmer kommt, ein Thema in arbeitsteiligen Gruppen zu bearbeiten (StEx oder ähnliches), dann hält sich die Begeisterung der Klasse in überschaubarem Rahmen.
– Peer correction, Lerntandems, Videos, Hörspiele, Kreuzworträtsel, Laufdiktate, total physical response, task based teaching… Überall gilt: Bei zu häufiger Wiederholung bringen einzelne Unterrichtsverfahren nicht mehr den intendierten Erfolg.
In anderen Worten: Durch häufige Wiederholung derselben Art der Unterrichtsgestaltung sinkt der Nutzen eben dieser Methode. Die Wirtschaftstheoretiker sprechen vom sinkenden Grenznutzen: das zusätzliche bisschen Erfolg (bei uns in der Schule eben Lernen) durch eine neue Methode sinkt mit jeder Anwendung dieser Methode.
Ein tolles Lernposter im Klassenzimmer führt dazu, dass sich die Schüler einen Sachverhalt besser einprägen können. Eine komplett zugeklebte Klassenzimmerwand führt eher zu Verwirrung und zum Streit mit dem Hausmeister.
4. Und was jetzt?
Abwechslung. Oder, etwas ausformulierter: Ein wesentlicher Teil der Kompetenz eines Lehrers besteht in der Kenntnis vieler unterschiedlicher Unterrichtsmethoden – und in der Bereitschaft, diese anzuwenden. Ah ja, und Freude am Lernen, vorbildliche Lehrer. All das braucht’s für die Motivation. Und sicher noch mehr.